Zuggurtkraftdifferenz

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Zuggurtkraftdifferenz


Ursprung der Zuggurtkraftdifferenz

Beim Bemessen der Biegezug - und Querkraftbewehrung von Stahlbetonbauteilen kommen jeweils zwei unterschiedliche Berechnungsmodelle zur Anwendung. Für das Ermitteln der Biegezugbewehrung wird von der Theorie eines Biegebalkens ausgegangen, in welchem lediglich die horizontalen inneren Kräfte betrachtet werden. Hierbei werden die Berechnungen auf die Stabachse des Bauteils reduziert. Bemessen werden lediglich die maßgebenden Querschnitte (Extremstellen). Die Querkraftbemessung hingegen erfolgt auf Basis eines Fachwerkmodells, womit die gemeinsame Wirkung aus Moment und Querkraft erfasst werden kann. Die Gurtkräfte werden dabei auch in ihren realen Wirkungslinien ermittelt. Vergleicht man die Zugkraft in der Bewehrungsebene aus der Biegetheorie mit der Zuggurtkraft des Fachwerkmodells, im gleichen Betrachtungsschnitt eines Bauteils, lässt sich am Fachwerkmodell eine höhere Zugkraft feststellen. Lediglich an den Extremstellen (max MEd), also dort wo rechnerisch keine Querkräfte auftreten, stimmen die Zugkräfte beider Berechnungsmodelle überein. Vereinfacht gesagt erzeugen Querkräfte aufgrund der Fachwerktheorie zusätzliche Kräfte in der Biegezugbewehrung. Der zusätzliche Zugkraftanteil ist unter anderem von der Neigung der Druckstrebe und der Neigung der Querkraftbewehrung abhängig. Da die Berechnungen am Fachwerk realitätsnäher sind, ist die Differenzkraft durch das Versatzmaß beim Verfahren der Zugkraftdeckung zu berücksichtigen. Die Kräfte im Druckgurt werden infolge der Querkraft im Fachwerkmodell kleiner als nach Biegetheorie, dies wird bei der Bemessung jedoch vernachlässigt.


Herleitung an einem Beispiel

In nachfolgender Beispielbetrachtung erfolgt die Ermittlung der Zuggurtkraft am Biegebalken und am Fachwerkmodell. Anhand des Vergleiches beider Bestimmungsgleichungen lässt sich die Zuggurtkraftdifferenz herleiten.

Fachwerkgeometrie und statisches System

Grundlage für die Betrachtung bietet das Fachwerkmodell nach EC2-1-1, welches bei der Querkraftbemessung Anwendung findet. Die Fachwerkgeometrie ergibt sich aus dem Druckstrebenneigungswinkel θ, dem Neigungswinkel der Querkraftbewehrung α und dem Hebelarm der inneren Kräfte z. Betrachtet wird ein Stahlbetonbalken, welcher als Einfeldträger mittig durch eine Einzellast belastet wird. Aufgrund der Symmetrie genügt die Betrachtung von einer Trägerhälfte. Gekennzeichnet sind die Drehpunkte 1 und 2 für die Berechnung der Zuggurtkraft über ein Momentengleichgewicht.

Fachwerkmodell nach EC2-1-1

Ermittelt wird die Zuggurtkraft (Fs) im gekennzeichneten Betrachtungsschnitt jeweils für den Biegebalken (BB) und das Fachwerk (FW) über das Aufstellen eines Momentengleichgewichtes.

System


Ermittlung der Zuggurtkraft Fs

  • Ermittlung von Fs am Biegebalken
Momentengleichgewicht um Drehpunkt 1
Momentengleichgewicht um Drehpunkt 1
z... Hebelarm der inneren Kräfte
VEd... Bemessungswert der einwirkenden Querkraft
cot θ... Druckstrebenneigungswinkel
cot α... Neigungswinkel der Bügelbewehrung
  • Ermittlung von Fs am Fachwerk
Momentengleichgewicht um Drehpunkt 2
Momentengleichgewicht um Drehpunkt 2
z... Hebelarm der inneren Kräfte
VEd... Bemessungswert der einwirkenden Querkraft
cot θ... Druckstrebenneigungswinkel

Aufgrund der einleitend beschriebenen Unterschiede in den Berechnungsmodellen ergeben sich somit zwei unterschiedliche Bestimmungsgleichungen. Daraus lässt sich eine Gleichung zum Ermitteln der Differenzkraft ΔFs bestimmen:

Die Größe der Differenzkraft ist sowohl abhängig von der im jeweiligen Betrachtungsschnitt einwirkenden Querkraft, als auch vom Druckstrebenneigungswinkel θ und dem Neigungswinkel der Querkraftbewehrung α. Dies gilt unabhängig des Beispiels auch für andere Tragsysteme und Belastungsarten.

Veranschaulichung am Zugkraftdiagramm

Die Differenzkraft und das damit in Verbindung stehende Versatzmaß lassen sich weiterführend zur vorherigen Betrachtung über die Zugkraftlinien der Berechnungsmodelle veranschaulichen.

Nachfolgend wird das Zugkraftdiagramm zum Herleiten des Versatzmaßes Schrittweise ergänzt.

Fs-Linie aus Biegeberechnung

Beim Berechnungsmodell Biegebalken verläuft die Zugkraftlinie synchron zur Momentenlinie aus der Biegebemessung. Dies ist auf die Verbundwirkung zwischen Stahl und Beton zurückzuführen. Hierbei werden ständig Kräfte zwischen den beiden Werkstoffen ausgetauscht und es kommt somit zu einer gleichmäßig an den Momentenverlauf angepassten Zugkraft.

Die Zugkraft lässt sich über das am entsprechenden Betrachtungsschnitt einwirkende Biegemoment und den Hebelarm der inneren Kräfte bestimmen. Daraus lässt sich die Zugkraftlinie für das Berechnungsmodell Biegebalken Konstruieren.

Fs-Linie aus Biegeberechnung

Fs-Linie für Einfach Fachwerk

Am Fachwerkmodell sind die Stabkräfte in den jeweiligen Bereichen der Untergurtebene jeweils konstant. Der Verlauf der Zugkraftlinie gestaltet sich somit entsprechend der Fachwerkfelder stufenförmig.

Fs-Linie für Einfach Fachwerk

Projiziert man die Mittellinie eines Fachwerkfeldes abwärts auf die beiden Zugkraftlinien, lässt sich vertikal gemessen, eine Differenz feststellen. Hierbei handelt es sich um die zuvor abgeleitete Differenzkraft ΔFs.

Notwendige Berücksichtigung:
Der stufenförmige Zugkraftverlauf bildet lediglich ein virtuelles Einfach-Fachwerk ab. Real betrachtet liegen eine Vielzahl von Fachwerken aneinandergereiht und schrittweise versetzt im Bauteil. Hierbei spricht man dann von einem sogenannten Netzfachwerk. Dabei teilen sich die Kräfte gleichmäßig auf die untereinander versetzten Fachwerke auf.
Somit sind weiterführend Betrachtungen am Netzfachwerk erforderlich.

Fs-Linie für Netzfachwerk

Erhöht man schrittweise die Anzahl der im Netzfachwerk befindlichen virtuellen Fachwerke, so werden die Abstufungen in der Zugkraftlinie dementsprechend immer kleiner. Mit der Annahme einer unendlich hohen Anzahl von Fachwerken wandelt sich der stufenförmige Verlauf schlussendlich zu einer kontinuierlichen Linie, welche parallel zur Zugkraftlinie aus der Biegebemessung verläuft. Die entstandene Linie entspricht dem Verlauf der tatsächlich auf die Bewehrung einwirkenden Zugkraft. Das vertikale Maß der Parallelverschiebung entspricht wie beim Einfach Fachwerk der Differenzkraft ΔFs.

Die Größe der Zuggurtkraft am jeweiligen Betrachtungsschnitt ergibt sich somit zu:

VEd... Bemessungswert der einwirkenden Querkraft
cot θ... Druckstrebenneigungswinkel
cot α... Neigungswinkel der Bügelbewehrung
z... Hebelarm der inneren Kräfte
MEd... Bemessungswert des einwirkenden Momentes (Wert aus Momentengrenzlinie)

Gleichermaßen lässt sich die Zugkraftlinie horizontal Parallelverschieben. Das Maß der horizontalen Verschiebung entspricht dem Versatzmaß al.

Fs-Linie für Netzfachwerk

Varianten zur Berücksichtigung der Zuggurtkraftdifferenz bei der Zugkraftdeckung

Variante 1 - Rechnerisches Ermitteln

Entsprechend des Querkraft- und Momentenverlaufes kann die Differenzkraft ΔFs rechnerisch ermittelt werden. Hierfür muss nicht nur die Momentengrenzlinie, sondern auch der vollständige Querkraftverlauf bekannt sein.

Detailbetrachtung am Zugkraftdiagramm – Differenzkraft rechnerisch ermittelt

Variante 2 - Konstruktive Berücksichtigung über das Versatzmaß al

Hierbei wird die M/z – Linie horizontal um das Versatzmaß al (sieheXXX) parallelverschoben. Die Zuggurtkraftdifferenz ergibt sich somit automatisch über die Geometrie. Bei Bauteilen ohne Querkraftbewehrung ist dies generell die einzige Variante.

Detailbetrachtung am Zugkraftdiagramm – Differenzkraft über Versatzmaß berücksichtigt

Weitere Details (siehe Zukkraftdeckung XXX)

Quellen