Zugkraftdeckung

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Unter Zugkraftdeckung versteht man die Ermittlung der statisch notwendigen Menge der Biegezugbewehrung, bezogen auf die Längsachse des Biegebauteils. Durch den Nachweis der Zugkraftdeckung wird sichergestellt, dass in jedem Querschnitt die auftretende Zuggurtkraft durch die vorhandene Bewehrung aufgenommen werden kann. Man spricht dabei vom Anpassen der Biegezugbewehrung an den Zugkraftverlauf.

Problemstellung und Einführung in die Thematik

Wird die Menge der Biegezugbewehrung für ein biegebeanspruchtes Stahlbetonbauteil ermittelt, so ist hierfür an erster Stelle, das maximal wirkende Biegemoment maßgebend. Dieses befindet sich in der Regel, je nach statischem System, in Feldmitte (Feldmoment), im Bereich von Zwischenauflagern (Stützmoment) oder auch im Anschnitt eines Kragarms. Die weiteren Abschnitte entlang der Bauteilachse, in denen geringere Biegemomente wirken, sind für die reine Biegebemessung somit nicht relevant und bleiben hierbei unberücksichtigt. Eine Variante der Bewehrungsführung wäre nun, die für das maximale Biegemoment ermittelte Bewehrungsmenge, über die gesamte Bauteillänge unverändert in der entsprechenden Bauteilebene anzuordnen. Diese Variante der Bewehrungsführung kommt in der Praxis auch durchaus in vielen Fällen zur Anwendung. Der entscheidende Nachteil hierbei ist jedoch, dass je nach Bauteilgröße eine teilweise wesentlich höhere Bewehrungsstahlmenge verbaut wird, als tatsächlich nötig wäre. Grund dafür ist die Tatsache, dass auf der gesamten Bauteillänge eine einheitliche Bewehrungsmenge angeordnet wird, welche auf das maximale Biegemoment abgestimmt ist. Betrachtet man jedoch den Momentenverlauf im Bauteil, so fällt dieser ja nach dem maximalen Moment mit einem linearen oder parabolischen Verlauf ab. Daraus lässt sich herleiten, dass die weniger stark beanspruchten Bauteilbereiche somit auch weniger Bewehrungsstahl benötigen. Hierbei kann das Verfahren der Zugkraftdeckung angewendet werden. Man spricht dabei vom Anpassen der Biegezugbewehrung an den Zugkraftverlauf. Eine Ähnliche Vorgehensweise findet man im Stahlbetonbau auch bei der Querkraftbemessung. Hier wird über die Querkraftdeckung die Querkraftbewehrung an den Verlauf der Querkraft angepasst.

Ziel ist es vereinfachend gesagt, den Materialeinsatz in Form von Bewehrungsstahl an die aus dem Momentenverlauf resultierende Stahlzugkraft anzupassen. Ähnliche Beispiele sind im Stahl- oder Holzbau zu finden. Zum Beispiel beim sogenannten „Fischbauchträger“. Dort wird die Bauteilkontur entsprechend des Momentenverlaufes gestaltet.

Normung und Anwendung

Geregelt ist das Verfahren der Zugkgraftdeckung im Eurocode 2 (DIN EN 1992-1-1 mit Nationalem Anhang) im Kapitel 9 (Konstruktionsregeln). Im Unterschied zur vorher geltenden DIN 1045-1 darf mit dem Eurocode nun auch als zusätzliche Variante ein linearer Kraftverlauf entlang der Verankerungslänge bei der Abdeckung der Zugkraftlinie durch gestaffelte Bewehrung berücksichtigt werden (siehe XXX).

Anwendung findet das Verfahren der Zugkraftdeckung bei verschiedensten biegebeanspruchten Stahlbetonbauteilen. Insbesondere Balken, Platten, Plattenbalken und Stützen. Also Bauteile, bei welchen es aus wirtschaftlichen- oder platztechnischen Gründen sinnvoll ist, die Biegezugbewehrung an den Zugkraftverlauf anzupassen und entsprechend abzustufen. Die hieraus resultierenden Vorteile sind die Einsparung von Bewehrungsstahl und damit verknüpft auch ein Platzgewinn für anderweitige Bewehrungselemente in Bauteilen mit einem hohen Bewehrungsgrad???.

Der Nachweis der Zugkraftdeckung ist zwingend in jedem Falle im Anschluss an die Biegebemessung zu vollziehen. Hiermit wird sichergestellt und nachgewiesen, dass die in jedem Querschnitt auftretende Zuggurtkraft durch die vorhandene Bewehrung aufgenommen wird.

Vorgehensweise bei der Zugkraftdeckung

Grundvoraussetzungen für das Anwenden der Zugkraftdeckung

Im Allgemeinen genügt beim Nachweis der Zugkraftdeckung das Betrachten des Grenzzustandes der Tragfähigkeit. Werden jedoch Biegemomente mehr als 15% bei Linear-elastischer Berechnung umgelagert oder es kommt durch Verfahren der Schnittgrößenermittlung mit der Plastizitätstheorie/Nichtlineare Verfahren zu erheblichen Verschiebungen der Momentennullpunkte zwischen GZG und GZT, so ist der Nachweis ebenfalls für den Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit zu führen.

  • Bewehrungsmengen für die maßgebenden Biegemomente
Die Anzahl und Durchmesser der Bewehrungsstäbe (Biegezugbewehrung) für die maßgebenden Biegemomente entsprechend der Biegebemessung müssen für die Zugkraftdeckung bekannt sein.
  • Abgeschlossene Querkraftbemessung
Der Querkraftverlauf und die Druckstrebenneigungswinkel aus der Querkraftbemessung sind für die Zugkraftdeckung erforderlich.
  • Momentengrenzlinie (Umhüllende)Anders als bei der reinen Biegebemessung sind bei der Zugkraftdeckung nicht nur die Einzelwerte der Momente an den maßgebenden Extremstellen relevant, sondern die gesamte Momentengrenzlinie.
  • Erläuterung Momentengrenzlinie:
Die maßgebenden Biegemomente an einem statischen System resultieren aufgrund unterschiedlicher Laststellungen (siehe Grafik). Das maßgebende Feldmoment an einem Durchlaufträger entsteht z.B. aufgrund einer anderen Laststellung als für das maßgebende Stützmoment. Legt man die Momentenlinien der jeweiligen Lastfälle für die maßgebenden Bemessungsmomente übereinander und betrachtet die umhüllende Außenkontur, so erhält man die Momentengrenzlinie der Bemessungswerte. Die Momentengrenzlinie besteht somit aus bereichsweisen verschieden zusammengesetzten Funktionen. Somit ist diese keine „glatte Funktion“ und kann dementsprechend Knickstellen enthalten.

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Wurden bei der Biegebemessung die Stützmomente aufgrund der Auflagersituation abgemindert (Momentenausrundung), so ist dies beim Erstellen der Momentengrenzlinie ebenfalls zu Berücksichtigen.

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Erstellen der Zugkraftlinie

Ziel: Näherungsweise den tatsächlichen Verlauf, der auf den Bewehrungsstahl einwirkenden Zugkräfte, im Zugkraftdiagramm darstellen.

Übersicht

  • Ablauf zum Erstellen der Zugkraftlinie:
Grundlage: MEd – Linie (Momentengrenzlinie)
M/z - Linie (Zugkraft Fs aufgrund von Biegemomenten (siehe XXX))
Fsd – Linie (Zugkraft Fs aufgrund von Biegemomenten und Querkraft(siehe XXX))
  • Betrachtung vorab - innere Käfte:
Wird ein Stahlbetonbauteil auf Biegung beansprucht, so entstehen infolge des Biegemomentes Druck- und Zugspannungen im Bauteilquerschnitt. Die Druckspannung wird durch den Beton und die Zugspannung durch den Bewehrungsstahl aufgenommen. Aus den Spannungen resultieren die Betondruckkraft Fcd und die Stahlzugkraft Fsd, welche als innere Kräfte bezeichnet werden. Diese befinden sich im Gleichgewicht (Fcd + Fsd = 0). Aufgrund der Lage der inneren Kräfte im Bauteilquerschnitt ergibt sich zwischen diesen ein Abstand, welcher als Hebelarm der inneren Kräfte (z) bezeichnet wird.

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Prinzipielle Darstellung der inneren Kräfte am Betrachtungsschnitt eines Stahlbetonbalken. Mit dem Hebelarm der inneren Kräfte lässt sich über das einwirkende Moment die Betondruckkraft Fcd und die Stahlzugkraft Fsd bestimmen.

M/z - Linie (Zugkraft aufgrund von Biegemomenten)

Die M/z Linie lässt sich aus der Momentengrenzline bestimmen. Sie stellt die Stahlzugkraft Fsd in Abhängigkeit vom einwirkenden Biegemoment (siehe ZuggurtkraftdifferenzXXXX) in einem Längen-Kräfte-Diagramm dar. Der Verlauf der M/z Linie entspricht dem der Momentengrenzlinie, da Zugkraft und Moment direkt proportional zueinander sind?????. Bezogen auf das Diagramm ist hier prinzipiell lediglich die Einheit der Ordinate von kNm zu kN zu ändern. Bei einer zusätzlichen Belastung des Querschnittes durch eine Normalkraft ist diese rechnerisch zu berücksichtigen.

Die Stahlzugkraft Fs errechnet sich somit zu:


MEd... Bemessungswert des einwirkenden Momentes (Wert aus Momentengrenzlinie)
z... Hebelarm der inneren Kräfte. Vereinfachend und auf der sicheren Seite liegend ist dieser zu 0,9 x d zu bestimmen (d = Statische Nutzhöhe). Eventuell kleinere Werte für z, aufgrund erheblicher Normalkräfte (z.B. aus Vorspannung) sind jedoch zu berücksichtigen. Prinzipiell kann z auch aus der Biegebemessung übernommen werden. Hierbei ist aber zu beachten, dass dieser nur für die Extremstellen bestimmt wird. Entlang das Bauteils können unter Umständen maßgebendere Werte vorliegen.
NEd... Bemessungswert des einwirkenden Normalkraft (NEd als Druckkraft negativ ansetzen)

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Fsd – Linie (Zugkraft aufgrund von Biegemomenten und Querkraft)

Um den tatsächlichen Verlauf der Stahlzugkraft aufgrund von Biegemoment und Querkraft im Zugkraftdiagramm darzustellen, ist die Zuggurtkraftdifferenz (sieheXXX) zu berücksichtigen. Hierfür ist die M/z – Linie entsprechend anzupassen.

Berücksichtigt werden kann die Zuggurtkraftdifferenz nach zwei Varianten:

Variante 1 - Rechnerisches Ermitteln

Entsprechend des Querkraft- und Momentenverlaufes kann die Differenzkraft ΔFs rechnerisch ermittelt werden. Hierfür muss nicht nur die Momentengrenzlinie, sondern auch der vollständige Querkraftverlauf bekannt sein.

Die Differenzkraft ΔFs ergibt sich zu:

Die Gesamtkraft Fs ergibt sich somit zu:

VEd... Bemessungswert der einwirkenden Querkraft
cot θ... Druckstrebenneigungswinkel
cot α... Neigungswinkel der Bügelbewehrung
z... Hebelarm der inneren Kräfte
MEd... Bemessungswert des einwirkenden Momentes (Wert aus Momentengrenzlinie)

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Variante 2 - Konstruktive Berücksichtigung über das Versatzmaß al

Hierbei wird die M/z – Linie horizontal um das Versatzmaß al (sieheXXX) parallelverschoben. Die Zuggurtkraftdifferenz ergibt sich somit automatisch über die Geometrie. Bei Bauteilen ohne Querkraftbewehrung ist dies generell die einzige Variante.

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Vorteile dieser Variante:
Das Bestimmen des Versatzmaßes al bietet beim grafischen Durchführen der Zugkraftdeckung den entscheidenden Vorteil, dass die Fs Linie aus der Biegetheorie lediglich insgesamt um diesen Wert horizontal verschoben werden muss. Andernfalls müsste aufwendig stellenweise je nach einwirkendem Moment und Querkraft die Differenzkraft errechnet und vertikal angetragen werden.
Verdeutlicht wird dies am nachfolgenden Beispiel eines Einfeldträgers mit Gleichlast. Aufgrund der Belastungsart ergibt sich ein linearer Querkraftverlauf und ein parabolischer Momentenverlauf. Somit verläuft die Zugkraftlinie aus der Biegetheorie automatisch ebenfalls parabolisch. Aufgrund des linearen Querkraftverlaufes steigt die Größe der Differenzkraft kontinuierlich zum Auflager hin an. Durch das geometrische Verschieben der Zugkraftlinie um das Versatzmaß wird der kontinuierliche Zugkraftzuwachs konstruktiv berücksichtigt und somit näherungsweise erfasst. Das aufwendige rechnerische Ermitteln des Zugkraftzuwachses entfällt somit.

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Hinweise

Beide Varianten führen Schlussendlich zum nahezu gleichen Ergebnis: Eine Zugkraftlinie, welche näherungsweise die tatsächlich einwirkende Stahlzugkraft darstellt.

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Das Versatzmaß al ist in den meisten Fällen für die jeweils einzelnen Abschnitte am statischen System aufgrund unterschiedlicher statischer Nutzhöhen und somit veränderter Hebelarme der inneren Kräfte jeweils gesondert zu bestimmen. Die einwirkende Stahlzugkraft an der Stelle des extremen Momentes (MEd max) ist generell als oberer Grenzwert anzusehen. Die umliegenden Bereiche sind somit nicht höher als der Grenzwert anzusetzen. Auch wenn das Berücksichtigen der Zugkraftdifferenz offensichtlich zu höheren Werten führen würde. Deutlich wird dies am Verlauf der Zugkraftlinie an den Extremstellen. Dort ist ein Zeitweise konstanter Verlauf mit der Länge 2 x al erkennbar. Der Grenzwert wird dabei nicht überschritten.

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