Zwang - Bauweisen mit wesentlichen Zwangsbeanspruchungen

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Spannbetonbauweise

Allgemeines

Im Unterschied zur Stahlbetonbauweise, bei der „schlaffe“ Bewehrungsstähle ohne Vorspannung eingebaut werden, verwendet man beim Spannbeton Litzen, Drähte oder Stäbe, die für eine bestimmte Kraft vorgespannt werden. Durch diese Vorspannung wird eine Verformung in das Bauteil eingetragen. Bei einer Belastung verformt sich das Spannbetonbauteil in entgegengesetzter Richtung.
Ziel der Vorspannung ist es, die Größe der Zugzone im Beton dauerhaft zu minimieren, sodass die Größe der Betondruckzone ansteigt. Dadurch lässt sich die Steifigkeit des Bauteils vergrößern und weitere Verformungen verringern.
Durch die erhöhte Bauteilsteifigkeit im Gegensatz zur Stahlbetonbauweise können mit Spannbeton schlankere Bauteile hergestellt werden. Weitere Vorteile sind geringere Verformungen und Rissbreiten, was die Anwendung bei aggressiven Umgebungsbedingungen und Behältern mit drückendem Wasser ermöglicht.[1]
Nachteilig sind der erhöhte Planungs- und Ausführungsaufwand und die besondere Anfälligkeit der Spannglieder gegenüber Korrosion, Sprödheit und Spannungsrisskorrosion.

Berücksichtigung des Zwangs

Die Berechnung des Spannbetonbauteils kann am Gesamtsystem (Betonquerschnitt und Spannglied) oder am vom Spannglied befreiten Bauteil erfolgen. Zusätzlich dazu muss in statisch bestimmte und in statisch unbestimmte Systeme unterschieden werden.[2]
Betrachtet man das Gesamtsystem erzeugt die Vorspannung einen Eigenspannungszustand, der bei statisch bestimmten Systemen keine Schnittkräfte erzeugt.
Wird das Bauteil, welches vom Spannglied befreit wurde, betrachtet, wirkt die Schnittkraft aus der Vorspannung im Bauteilquerschnitt.
In statisch unbestimmten Systemen hingegen, erzeugt der Eigenspannungszustand des Gesamtsystems Verformungen, die nicht mit der Lagerung verträglich sind und Zwangsschnittgrößen hervorrufen. Diese Zwangsschnittgrößen Mps(P), Vps(P) und Nps(P) müssen bei den Nachweisen der Tragfähigkeit als zusätzliche Belastung berücksichtigt werden. Zwangsnormalkräfte entstehen, wenn sich das Bauteil in Längsrichtung nicht verkürzen oder verlängern kann. Dies ist besonders bei den integralen Brücken infolge einer Temperatureinwirkung zu beachten. Zwangsmomente und Zwangsquerkräfte entstehen durch eine Biegung bei nahezu jeder Belastung. Die Betrachtung am Gesamtsystem wird auch als „Vorspannung auf der Widerstandsseite“ bezeichnet, da sich der Querschnittswiderstand aus dem Gesamtquerschnitt und der Vorspannung zusammensetzt.
Wird das Bauteil ohne das Spannglied betrachtet, wirken Anker-, Umlenk- und Reibungskräfte. Daher kann diese Betrachtung auch als „Vorspannung auf der Lastseite“ bezeichnet werden. Die aus der Verformungsbehinderung entstehenden Zwangsschnittgrößen werden in den Schnittgrößen infolge der Vorspannung berücksichtigt. Diese Schnittgrößen wirken wie bei den statisch bestimmten Systemen im Bauteilquerschnitt.
Beide Betrachtungen führen zu den selben Ergebnissen.[2]

integrale Bauweise

Allgemeines

Bei der integralen Bauweise wird ein Bauwerk ohne Fugen oder Lager erstellt. Angewendet wird dies unter anderem im Brückenbau oder beim Bau einer Festen Fahrbahn im Schienenverkehrswesen.
Durch die Ausführung ohne Lager und Fugen wird die Konstruktion vereinfacht und der Planungsaufwand durch weniger komplizierte Detailzeichnungen verringert. Außerdem erfordern Lager und Fugen eine intensive Wartung und Instandhaltung, was zu zusätzlichen Kosten führt. An Bauwerksfugen entfallen die Fugenübergangslösungen, sodass auch hier der Reinigungs- und Wartungsaufwand reduziert wird.
Die Vereinfachung des Systems durch weniger komplizierte Details wird durch die umfangreiche Leistung der Tragwerksberechnung aufgehoben. Der Einbau zusätzlicher Bewehrung bedarf einer größeren Anzahl an Bewehrungsplänen und einem Mehraufwand in der Bauvorbereitung und der Baudurchführung.[3]

integrale Bauweise am Beispiel von Brückenbauwerken

Eine integrale Brücke besitzt weder Lager noch Fugen an den Fahrbahnübergängen. Zusätzlich dazu wird die Verbindung zwischen Über- und Unterbau monolithisch ausgeführt, sodass keine Relativverschiebungen möglich sind. Das Bauwerk wird sowohl an seinen Enden als auch an den Pfeilern in den Boden eingebettet und steht somit in ständiger Wechselwirkung mit diesem.[4]
Die Größe der Zwangsbeanspruchungen ist von der Bauwerksgeometrie, den Steifigkeitsverhältnissen zwischen Über- und Unterbau, dem Baugrund und dem Bauablauf bzw. der Reihenfolge der Errichtung der einzelnen Tragwerksteile abhängig. Daher ist eine Tragwerksbemessung am Gesamtsystem unerlässlich. Die Bodenkennwerte sollten möglichst genau ermittelt werden bzw. muss eine Grenzwertbetrachtung dieser durchgeführt werden.[4]
Zwangsspannungen entstehen durch Temperaturschwankungen, Kriechen und Schwinden, einer Vorspannung und Setzungen. Je größer die Belastung wird, desto mehr Bewehrung ist in Stahlbetonbauteilen nötig bzw. desto höher muss der Vorspanngrad in Spannbetonbauwerken gewählt werden. Die Zwangsschnittgrößen werden außerdem für die Stabilitätsnachweise der Pfeiler benötigt.

Temperatureinwirkungen

Im Allgemeinen sind Brücken starken Temperaturwechseln im Tages- bzw. Jahresverlauf ausgesetzt. Die Beanspruchungen aus der Temperatur sind bei der Tragwerksbemessung als veränderliche Einwirkungen zu berücksichtigen. Der direkte Einfluss der Lufttemperatur, der Windverhältnisse und der Sonneneinstrahlung erzeugt im Über- und im Unterbau ein Temperaturprofil, welches sich aus vier Anteilen zusammensetzt.[4]
Konstante Temperaturänderungen führen zu Setzungen in den Widerlagerbereichen und zu Zwangsspannungen und Verformungen im Über- und Unterbau. Durch die Verformungen erfahren die Druckglieder (Pfeiler und Wände) eine Kopfauslenkung und die entstehenden Zwangsschnittgrößen sind bei den Stabilitätsnachweisen zu berücksichtigen.
Linear verteilte Temperaturänderungen entstehen sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Richtung. Der vertikale Temperaturunterschied wird zur Bemessung des Über- und des Unterbaus benötigt. Die lineare horizontale Temperaturverteilung wird für die Bemessung der Brückenpfeiler oder Brückenwände verwendet.
Der nichtlinear verteilte Anteil der Temperatureinwirkung muss in Deutschland bei der Bemessung nicht berücksichtigt werden.

Schwinden

Belastungen infolge des Bauteilschwindens werden sowohl bei der Tragwerksbemessung im Grenzzustand der Tragfähigkeit als auch bei der Gebrauchstauglichkeit angesetzt. Neben zusätzlichen Spannungen und Verformungen entstehen Lastexzentrizitäten, die bei den Stabilitätsnachweisen der Druckglieder berücksichtigt werden müssen.[4]

Interaktion mit dem Boden

Die Größe der Zwangsspannungen infolge Temperaturänderungen, de Schwindens und des Kriechens wird von der Steifigkeit des Bodens beeinflusst. Bei der Tragwerksverformung wird in den Widerlagerbereichen der Erddruck (aktiver Erddruck bei einer Verkürzung und passiver Erddruck bei einer Ausdehnung des Tragwerkes) aktiviert. Dieser Erddruck wird bei der Tragwerksbemessung als ständige Einwirkung angesetzt.[4]

Verringerung der Zwangsschnittgrößen

Um die Zwangsspannungen zu verringern, muss sich das Tragwerk verformen können. Durch z.B. das Zulassen eines plastischen Gelenkes lässt sich die Verformbarkeit des Unterbaus erhöhen.[4]
Eine andere Möglichkeit zur Verringerung der Zwangsschnittgrößen ist das Anordnen einer Krümmung im Grund- oder Aufriss. In den Krümmungsbereichen wird das radiale Ausweichen des Bauwerkes ermöglicht. Dadurch entziehen sich der Über- und der Unterbau den Zwangsbeanspruchungen und die Zwangsspannungen verringern sich. Bei der Bemessung der Druckglieder müssen diese Ausweichvorgänge jedoch berücksichtigt werden.[4]
Die Verringerung der Stützweiten bei längeren Brücken reduziert die Zwangsschnittgrößen auch ohne das Anordnen einer Krümmung. Durch die geringere Länge verringern sich die Dehnsteifigkeit und die Zwangsschnittgrößen.[4]
Neben den Zwangsbeanspruchungen, die im Laufe der Lebensdauer des Bauwerks auftreten, entstehen Zwangsspannungen wie bei anderen Betonbauteilen auch schon während der Bauphase. Die entstehenden Spannungen aus dem Abfließen der Hydratationswärme können unter anderem durch Zemente mit niedriger Wärmeentwicklung oder gekühlte Zuschläge und gekühltes Anmachwasser verringert werden. Die entstehenden Schwindspannungen lassen sich durch eine rechtzeitige und ausreichend lange Nachbehandlung begrenzen.

Quellen

Fachliteratur
  1. Avak, R.; Meiss, K.: Spannbetonbau. Theorie, Praxis, Berechnungsbeispiele nach Eurocode 2. 3., vollständig überarbeitete Auflage. Beuth Verlag GmbH 2015
  2. 2,0 2,1 Prof. Dr. W. Kaufmann: Vorlesung Stahlbeton II. Vorspannkonzepte. ETH Zürich 2017
  3. Röhling, S.; Meichsner, H.: Rissbildung im Stahlbetonbau. Ursachen - Auswirkungen - Maßnahmen. Stuttgart 2018
  4. 4,0 4,1 4,2 4,3 4,4 4,5 4,6 4,7 Geier, R. u.a.: Integrale Brücken. Entwurf, Berechnung, Ausführung, Monitoring. Berlin 2017


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