Zugkraftdeckung
Die Zugkraftdeckung ist ein Verfahren, mit welchem die Längsbewehrung eines biegebeanspruchten Stahlbetonbauteils an den Zuggurtkraftverlauf angepasst werden kann. Ebenfalls lässt sich durch den Nachweis der Zugkraftdeckung sicherstellen, dass die in jedem Bauteilquerschnitt auftretende Zuggurtkraft durch die gewählte Biegezugbewehrung aufgenommen wird.[1]
Problemstellung und Einführung in die Thematik
Wird die Menge der Biegezugbewehrung für ein biegebeanspruchtes Stahlbetonbauteil ermittelt, so ist hierfür an erster Stelle das maximal wirkende Biegemoment maßgebend. Dieses befindet sich in der Regel, je nach statischem System, in Feldmitte (Feldmoment), im Bereich von Zwischenauflagern (Stützmoment) oder auch im Anschnitt eines Kragarms. Die weiteren Abschnitte entlang der Bauteilachse, in denen geringere Biegemomente wirken, sind für die reine Biegebemessung somit nicht relevant und bleiben hierbei unberücksichtigt. Eine Variante der Bewehrungsführung wäre nun, die für das maximale Biegemoment ermittelte Bewehrungsmenge, über die gesamte Bauteillänge unverändert in der entsprechenden Bauteilebene anzuordnen. Diese Variante der Bewehrungsführung kommt in der Praxis auch durchaus in vielen Fällen zur Anwendung. Der entscheidende Nachteil hierbei ist jedoch, dass je nach Bauteilgröße eine teilweise wesentlich höhere Bewehrungsstahlmenge verbaut wird, als tatsächlich nötig wäre. Grund dafür ist die Tatsache, dass auf der gesamten Bauteillänge eine einheitliche Bewehrungsmenge angeordnet wird, welche auf das maximale Biegemoment abgestimmt ist. Betrachtet man jedoch den Momentenverlauf im Bauteil, so fällt dieser nach dem maximalen Moment mit einem linearen oder parabolischen Verlauf ab. Daraus lässt sich herleiten, dass die weniger stark beanspruchten Bauteilbereiche somit auch weniger Bewehrungsstahl benötigen. Hierbei kann das Verfahren der Zugkraftdeckung angewendet werden. Man spricht dabei vom Anpassen der Biegezugbewehrung an den Zugkraftverlauf. Eine ähnliche Vorgehensweise findet man im Stahlbetonbau auch bei der Querkraftbemessung. Hier wird über die Querkraftdeckung die Querkraftbewehrung an den Verlauf der Querkraft angepasst.[1][2][3]
Ziel ist es, vereinfachend formuliert, den Materialeinsatz in Form von Bewehrungsstahl an die aus dem Momenten- und Querkraftverlauf resultierende Stahlzugkraft anzupassen.
Normung und Anwendung
Geregelt ist das Verfahren der Zugkraftdeckung im Eurocode 2 (DIN EN 1992-1-1 mit Nationalem Anhang) im Kapitel 9 (Konstruktionsregeln)[4] . Im Unterschied zur DIN 1045-1 darf mit der Einführung des Eurocodes nun auch als zusätzliche Variante ein linearer Kraftverlauf entlang der Verankerungslänge bei der Abdeckung der Zugkraftlinie durch gestaffelte Bewehrung berücksichtigt werden (siehe Variantenvergleich Zugkraftdeckungslinien).[4]
Anwendung findet das Verfahren der Zugkraftdeckung bei verschiedensten biegebeanspruchten Stahlbetonbauteilen, insbesondere bei Balken, Platten und Plattenbalken. Das betrifft also Bauteile, bei welchen es aus wirtschaftlichen oder platztechnischen Gründen sinnvoll ist, die Biegezugbewehrung an den Zugkraftverlauf anzupassen und entsprechend abzustufen. Die hieraus resultierenden Vorteile sind die Einsparung von Bewehrungsstahl und damit verknüpft auch ein Platzgewinn für anderweitige Bewehrungselemente in Bauteilen mit einem hohen Bewehrungsgrad.[1]
Der Nachweis der Zugkraftdeckung ist zwingend in jedem Falle im Anschluss an die Biegebemessung zu vollziehen. Hiermit wird sichergestellt und nachgewiesen, dass die in jedem Querschnitt auftretende Zuggurtkraft durch die vorhandene Bewehrung aufgenommen wird.[2]
Vorgehensweise bei der Zugkraftdeckung
Grundvoraussetzungen für das Anwenden der Zugkraftdeckung
Im Allgemeinen genügt beim Nachweis der Zugkraftdeckung das Betrachten des Grenzzustandes der Tragfähigkeit. Werden jedoch Biegemomente mehr als 15% bei linear-elastischer Berechnung umgelagert oder es kommt durch Verfahren der Schnittgrößenermittlung mit der Plastizitätstheorie/Nichtlineare Verfahren zu erheblichen Verschiebungen der Momentennullpunkte zwischen GZG und GZT, so ist der Nachweis ebenfalls für den Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit zu führen.[4] Im Folgenden wird von einer Schnittgrößenermittlung nach dem linear-elastischen Verfahren ohne Momentenumlagerung ausgegangen.
- Bewehrungsmengen für die maßgebenden Biegemomente
- Die Anzahl und Durchmesser der Bewehrungsstäbe (Biegezugbewehrung) für die maßgebenden Biegemomente entsprechend der Biegebemessung müssen für die Zugkraftdeckung bekannt sein.
- Abgeschlossene Querkraftbemessung
- Der Querkraftverlauf und die Druckstrebenneigungswinkel aus der Querkraftbemessung sind für die Zugkraftdeckung erforderlich.
- Momentengrenzlinie (Umhüllende)
- Anders als bei der reinen Biegebemessung sind bei der Zugkraftdeckung nicht nur die Einzelwerte der Momente an den maßgebenden Extremstellen relevant, sondern die gesamte Momentengrenzlinie.
- Erläuterung - Momentengrenzlinie:
- Die maßgebenden Biegemomente an einem statischen System ergeben sich aufgrund unterschiedlicher Laststellungen (siehe Grafik). Das maßgebende Feldmoment an einem Durchlaufträger entsteht z.B. aufgrund einer anderen Laststellung als für das maßgebende Stützmoment. Legt man die Momentenlinien der jeweiligen Lastfälle für die maßgebenden Bemessungsmomente übereinander und betrachtet die umhüllende Außenkontur, so erhält man die Momentengrenzlinie der Bemessungswerte. Die Momentengrenzlinie besteht somit aus bereichsweise verschieden zusammengesetzten Funktionen. Somit ist diese keine „glatte Funktion“ und kann dementsprechend Knickstellen enthalten.[2]
- Wurden bei der Biegebemessung die Stützmomente aufgrund der Auflagersituation abgemindert (Momentenausrundung), so ist dies beim Erstellen der Momentengrenzlinie ebenfalls zu berücksichtigen.[1]
Erstellen der Zugkraftlinie
Ziel: Näherungsweise den tatsächlichen Verlauf der auf den Bewehrungsstahl einwirkenden Zugkraft im Zugkraftdiagramm darstellen. Hierbei ist stets die Zuggurtkraftdifferenz zu berücksichtigen.
Übersicht
- Ablauf zum Erstellen der Zugkraftlinie:
- Grundlage: MEd – Linie (Momentengrenzlinie)
- ↓
- M/z - Linie (Zugkraft Fs aufgrund von Biegemomenten)
- ↓
- Fsd – Linie (Zugkraft Fs aufgrund von Biegemomenten und Querkraft)
- Grundlage: MEd – Linie (Momentengrenzlinie)
- Betrachtung vorab - innere Käfte:
- Wird ein Stahlbetonbauteil auf Biegung beansprucht, so entstehen infolge des Biegemomentes Druck- und Zugspannungen im Bauteilquerschnitt. Die Druckspannung wird durch den Beton und die Zugspannung durch den Bewehrungsstahl aufgenommen. Aus den Spannungen resultieren die Betondruckkraft Fcd und die Stahlzugkraft Fsd, welche als innere Kräfte bezeichnet werden. Diese befinden sich im Gleichgewicht (Fcd + Fsd = 0). Aufgrund der Lage der inneren Kräfte im Bauteilquerschnitt ergibt sich zwischen diesen ein Abstand, welcher als Hebelarm der inneren Kräfte (z) bezeichnet wird.[5]
- Mit dem Hebelarm der inneren Kräfte lässt sich über das einwirkende Biegemoment die Betondruckkraft Fcd und die Stahlzugkraft Fsd bestimmen.[5]
M/z - Linie (Zugkraft aufgrund von Biegemomenten)
Die M/z Linie lässt sich aus der Momentengrenzline bestimmen. Sie stellt die Stahlzugkraft Fsd in Abhängigkeit vom einwirkenden Biegemoment in einem Längen-Kräfte-Diagramm dar. Der Verlauf der M/z Linie entspricht dem der Momentengrenzlinie, da Zugkraft und Moment direkt proportional zueinander sind. Bezogen auf das Diagramm ist hier prinzipiell lediglich die Einheit der Ordinate von kNm zu kN zu ändern. Bei einer zusätzlichen Belastung des Querschnittes durch eine Normalkraft ist diese zusätzlich rechnerisch zu berücksichtigen.[5]
Die Stahlzugkraft Fs errechnet sich somit zu:[5]
MEd... Bemessungswert des einwirkenden Momentes (Wert aus Momentengrenzlinie) z... Hebelarm der inneren Kräfte. Vereinfachend und auf der sicheren Seite liegend ist dieser zu 0,9 · d zu bestimmen (d = Statische Nutzhöhe). Prinzipiell kann z auch aus der Biegebemessung übernommen werden. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass dieser dabei nur für die Extremstellen bestimmt wird. Entlang das Bauteils können unter Umständen maßgebendere Werte vorliegen.[4] NEd... Bemessungswert der einwirkenden Normalkraft (NEd als Druckkraft negativ ansetzen)
Fsd – Linie (Zugkraft aufgrund von Biegemomenten und Querkraft)
Um den tatsächlichen Verlauf der Stahlzugkraft aufgrund von Biegemoment und Querkraft im Zugkraftdiagramm darzustellen, ist die Zuggurtkraftdifferenz zu berücksichtigen. Hierfür ist die M/z – Linie entsprechend anzupassen.[2]
Berücksichtigt werden kann die Zuggurtkraftdifferenz nach zwei Varianten:
Variante 1 - Rechnerisches Ermitteln
Entsprechend des Querkraft- und Momentenverlaufes kann die Zuggurtkraftdifferenz ΔFs rechnerisch ermittelt werden. Hierfür muss nicht nur die Momentengrenzlinie, sondern auch der vollständige Querkraftverlauf bekannt sein.
Die Zuggurtkraftdifferenz ΔFs ergibt sich zu:[5]
Die Gesamtkraft Fs ergibt sich somit zu:[5]
VEd... Bemessungswert der einwirkenden Querkraft cot θ... Druckstrebenneigungswinkel cot α... Neigungswinkel der Bügelbewehrung z... Hebelarm der inneren Kräfte MEd... Bemessungswert des einwirkenden Momentes (Wert aus Momentengrenzlinie)
Variante 2 - Konstruktive Berücksichtigung über das Versatzmaß al
Dies ist die gängigere Variante zur Berücksichtigung der Zuggurtkraftdifferenz. Hierbei wird die M/z – Linie an den Extremstellen geteilt und jeweils horizontal um das Versatzmaß al parallelverschoben. Der Kräftezuwachs aus der Zuggurtkraftdifferenz ergibt sich somit automatisch über die Geometrie. Bei Bauteilen ohne Querkraftbewehrung ist dies generell die einzig mögliche Variante. [3]
- Vorteile dieser Variante:
- Das Bestimmen des Versatzmaßes al bietet beim grafischen Durchführen der Zugkraftdeckung den entscheidenden Vorteil, dass die M/z - Linie lediglich abschnittsweise um diesen Wert horizontal verschoben werden muss. Andernfalls müsste aufwendig stellenweise je nach einwirkendem Moment und Querkraft die Differenzkraft errechnet und vertikal angetragen werden.
- Verdeutlicht wird dies am nachfolgenden Beispiel eines Einfeldträgers mit Gleichlast (siehe Grafik). Aufgrund der Belastungsart ergibt sich ein linearer Querkraftverlauf und ein parabolischer Momentenverlauf. Somit verläuft die Zugkraftlinie aus der Biegetheorie automatisch ebenfalls parabolisch. Aufgrund des linearen Querkraftverlaufes steigt die Größe der Differenzkraft kontinuierlich zum Auflager hin an. Durch das geometrische Verschieben der Zugkraftlinie um das Versatzmaß wird der kontinuierliche Zugkraftzuwachs konstruktiv berücksichtigt und somit näherungsweise erfasst. Das aufwendige rechnerische Ermitteln des Zugkraftzuwachses entfällt somit.
Hinweise
Beide Varianten führen schlussendlich zum nahezu gleichen Ergebnis: → Eine Zugkraftlinie, welche näherungsweise die tatsächlich einwirkende Stahlzugkraft darstellt.
Das Versatzmaß al ist in den meisten Fällen für die jeweils einzelnen Abschnitte am statischen System aufgrund teilweise unterschiedlicher statischer Nutzhöhen und somit veränderter Hebelarme der inneren Kräfte jeweils gesondert zu bestimmen.
Die einwirkende Stahlzugkraft Fsd an der Stelle des extremen Momentes (MEd max) ist generell als oberer Grenzwert anzusehen. Die umliegenden Bereiche sind somit nicht höher als der Grenzwert anzusetzen, auch wenn das Berücksichtigen der Zugkraftdifferenz offensichtlich zu höheren Werten führen würde. Deutlich wird dies am Verlauf der Zugkraftlinie an den Extremstellen. Dort ist ein zeitweise konstanter Verlauf mit der Länge 2 · al erkennbar. Der Grenzwert wird dabei nicht überschritten.[4]
Bewehrungshorizonte
Aus der bereits vollzogenen Biegebemessung sind Durchmesser und Anzahl der Bewehrungsstäbe (Biegezugbewehrung) bekannt. Jeder einzelne Stab kann aufgrund seiner Querschnittsfläche und der Stahlfestigkeit eine entsprechende Zugkraft F⌀ aufnehmen.[5]
Die pro Bewehrungsstahl aufnehmbare Zugkraft F⌀ errechnet sich zu:[5]
As⌀... Querschnittsfläche des Bewehrungsstahls fyd... Bemessungswert der Stahlstreckgrenze
Die errechnete Zugkraft pro Bewehrungsstahl lässt sich im Zugkraftdiagramm über einen sogenannten Bewehrungshorizont (horizontale Hilfslinie) eintragen. Mit steigender Anzahl der Bewehrungsstähle kommen weitere Horizonte mit untereinander gleichem Abstand dazu. Ist dementsprechend die volle Anzahl der Bewehrungsstähle eingetragen lässt sich die Bewehrungsmenge aus der Biegebemessung mit der laut Zugkraftdiagramm erforderlichen Menge vergleichen. Die erforderliche Zugkraft muss von der durch die Biegezugbewehrung aufnehmbare Zugkraft abgedeckt werden. Je nach Bewehrungsdurchmesser und Stabanzahl können sich die Bewehrungshorizonte pro Bemessungsabschnitt am Statischen System unterscheiden.[1]
Betrachtung am Zugkraftdiagramm: Die aufnehmbare Zugkraft muss größer als die einwirkenden Zugkraft oder ihr gleich sein (siehe Grafik). Hierdurch lässt sich kontrollieren, ob die gewählte Biegezugbewehrung korrekt gewählt wurde. Geringe Unterschreitungen können jedoch akzeptiert werden. Zurückzuführen ist dies auf den Hebelarm der inneren Kräfte (z). Die Biegebemessung und damit die Bewehrungswahl erfolgt mit dem exakten Wert für z. Die Zugkraftlinie hingegen wird auf der sicheren Seite liegend vereinfacht mit z = 0,9 · d bestimmt. Hierdurch wird im Zugkraftdiagramm eine teilweise etwas höhere Stahlzugkraft dargestellt, als tatsächlich auftreten wird.
Zugkraftdeckungslinie (Abstufen der Biegezugbewehrung)
Übersicht
Ziel des Abstufens ist es, die Länge der Biegezugbewehrung näherungsweise an den Zugkraftverlauf anzupassen. Man spricht dabei vom Staffeln der Bewehrung. Durch das Abstufen lassen sich die Längen der einzelnen Bewehrungsstähle festlegen, denn wie anfangs erwähnt, müssen nicht alle Stäbe bis ins Auflager geführt werden, sondern können teilweise schon vorher enden. Es bleibt freigestellt, ob jeder Stab separat abgestuft wird oder mehrere Stäbe die gleiche Länge erhalten. Ergebnis ist die Zugkraftdeckungslinie. An jeder Stelle des Bauteils muss so viel Bewehrung angeordnet sein, dass es nicht zum Einschneiden der Zugkraftlinie durch die Zugkraftdeckungslinie kommt.[2]
Endet ein Bewehrungsstahl z.B. wie bei der Zugkraftdeckung durch Abstufung im Verlauf des Bauteils, so ist dieser dort noch zu verankern. Gängig ist es hierbei, das gerade Stabende unter Berücksichtigung seiner Verankerungslänge entsprechend enden zu lassen. Somit ist beim Abstufen von Bewehrungsstählen, entsprechend der Zugkraftdeckungslinie, zusätzlich immer das Maß der Verankerungslänge in Bezug auf die Gesamtlänge eines Stabes zu berücksichtigen. Eine besondere Form der Verankerung abgestufter Bewehrungsstähle sind sogenannte „Schrägaufbiegungen“ (siehe Rückblick - Zugkraftdeckung in der Vergangenheit). [5]
Konstruktive Regeln
In Verbindung mit dem Abstufen von Bewehrungsstählen sind grundsätzliche Regeln zur Bewehrungsführung zu beachten.
- Verankerung am Endauflager:
- Mindestens 25% der Feldbewehrung sind bis zum Endauflager zu führen und dort zu verankern (bei Platten 50%). Als Verankerungsbeginn zählt die Innenkante des Auflagers. Die Bewehrung ist jedoch stets mindestens über die rechnerische Auflagerlinie zu führen.[6]
- Verankerung am Zwischenauflager:
- Mindestens 25% der Feldbewehrung sind über das Zwischenauflager zu führen. Die Mindestverankerungslänge ab Auflagerrand muss mindestens 6· dem Stabdurchmesser entsprechen. Zur Aufnahme positiver Momente infolge außergewöhnlicher Beanspruchungen (Auflagersetzungen, Explosion u. a.) sollte die Bewehrung durchlaufend ausgeführt werden (ggf. kraftschlüssig gestoßen).[6]
- Weitere Hinweise zur Bewehrungsführung sind aus geeigneter Fachliteratur zu entnehmen z.B. [6].
Aufgrund der konstruktiven Regeln ist es somit nicht möglich, jeden Bewehrungsstab abzustufen und vor dem Auflager enden zu lassen. Ein gewisser Anteil ist in jedem Fall immer bis zum Auflager zu führen. Bei allen weiteren Stäben liegt es im eigenen Ermessen, ob eine eher „feine“ oder „grobe“ Abstufung vollzogen wird.
Eine „feine“ Abstufung führt zwar zur Einsparung von Bewehrungsstahl, kann sich jedoch in Hinblick auf die Übersichtlichkeit im Bewehrungsplan und die spätere Bewehrungsmontage wiederum ungünstig auswirken. Denn die Anzahl der Bewehrungsstäbe mit unterschiedlicher Länge und somit auch die Anzahl an unterschiedlichen Positionen nimmt hierbei zu. Ein „gesundes Mittelmaß“ zwischen Materialeinsparung und Planungs-/Montageaufwand ist hierbei anzustreben.[5]
Erfassen der rechnerischen Endpunkte der Bewehrung
Ein Bewehrungsstahl kann enden/abgestuft werden, wenn dieser nicht mehr belastet wird, also dort, wo keine Zugkraft mehr auf ihn einwirkt. Im Zugkraftdiagramm lässt sich der jeweilige rechnerische Endpunkt (E) geometrisch erfassen. Der rechnerische Endpunkt eines Stabes befindet sich dort, wo sich die Zugkraftlinie mit dem Bewehrungshorizont des vorherigen Stabes schneidet. Beispielhaft darf Stab 4 dort enden, wo sich der Bewehrungshorizont von Stab 3 mit der Zugkraftlinie schneidet (siehe Grafik).
Der rechnerische Endpunkt bedeutet lediglich, dass dort rein theoretisch abgestuft werden kann. Die Abstufung muss jedoch nicht zwangsläufig erfolgen bzw. darf aus konstruktiven Gründen teilweise auch nicht an jedem rechnerischen Endpunkt vollzogen werden.
Varianten der Zugkraftdeckungslinie
Eine Zugkraftdeckungslinie lässt sich nach zwei Varianten erstellen. Die Varianten unterscheiden sich hinsichtlich des Ansatzes der Tragfähigkeit der Bewehrung in der Verankerungslänge der abgestuften Bewehrungsstähle (siehe Variantenvergleich Zugkraftdeckungslinien).[4]
Die Zugkraftdeckungslinie richtet sich nach den rechnerischen Endpunkten und den Bewehrungshorizonten im Zugkraftdiagramm. Die konstruktiven Regeln der Bewehrungsführung sind zu berücksichtigen. Ebenfalls muss bekannt sein, welche Anzahl an Stäben abgestuft werden sollen.
Variante a - Zugkraftdeckungslinie „Stufenfunktion“ (nach DIN 1045-1)
Bei der „Stufenfunktion“ handelt es sich um die „klassische“ Variante, welche auch die einzige Variante in der vor dem EC 2 geltenden DIN 1045-1 war. Die Tragfähigkeit der Bewehrung in der Verankerungslänge wird im Vergleich zu Variante b nicht angesetzt.[4]
- Beispielbetrachtung Feldbewehrung:
- Entsprechend der Biegebemessung sind 4 Bewehrungsstähle mit gleichem Durchmesser vorhanden. Hiervon sollen 2 Stäbe abgestuft werden. Die weiteren 2 Stäbe laufen vollständig von Auflager zu Auflager und werden nicht abgestuft um den konstruktiven Regeln gerecht zu werden (mindestens 25% der Feldbewehrung ist bis ins Auflager zu führen).
- Es lässt sich die Zugkraftdeckungslinie erstellen:
- Abgestuft wurden Stab 3 und 4 auf jeweils die gleiche Länge, bezogen auf die rechnerischen Endpunkten von Stab 3.
- Die erforderliche Länge der abgestuften Bewehrungsstähle lässt sich über das Diagramm erfassen und wird nachfolgend veranschaulicht:
- Das Maß zwischen zwei Endpunkten (E) entspricht der Grundlänge des jeweiligen Bewehrungsstahls. Um die tatsächliche Stablänge zu erhalten, ist die jeweilige Verankerungslänge) der Grundlänge ab dem Endpunkt E hinzuzurechnen.
- Vollständige Zugkraftdeckung:
Variante b - Zugkraftdeckungslinie „anschmiegende Funktion“ (nach EC 2)
Mit der Einführung des Eurocode 2 darf die Tragfähigkeit der Bewehrung in der Verankerungslänge in Ansatz gebracht werden. Hierdurch „schmiegt“ sich die Zugkraftdeckungslinie enger an die Zugkraftlinie an.[4]
- Beispielbetrachtung Feldbewehrung (gleichen Randbedingungen wie bei Variante a):
- Das Maß zwischen zwei Endpunkten (E) entspricht der Gesamtlänge des jeweiligen Bewehrungsstahls. Die Verankerungslängen sind hier drin schon enthalten. Abgestuft wurden Stab 3 und 4 auf jeweils die gleiche Länge, bezogen auf die rechnerischen Endpunkten von Stab 3.
- Vollständige Zugkraftdeckung:
Ergebnis der Zugkraftdeckung
Das Ergebnis der Zugkraftdeckung sind Länge und Position der abgestuften Bewehrungsstähle. Hierbei ist stets die Verankerungslänge zu berücksichtigen. Diese Parameter lassen sich direkt für die Stabstahlliste und den Bewehrungsplan verwenden. Verdeutlicht wird die Vorgehensweise bei der Zugkraftdeckung am Berechnungsbeispiel.
Variantenvergleich Zugkraftdeckungslinien
Wie vorab exemplarisch dargestellt, lassen sich für das Erstellen einer Zugkraftdeckung grundsätzlich zwei Varianten in Betracht ziehen:
- Variante a - Zugkraftdeckungslinie „Stufenfunktion“
- ohne Ansatz der Tragfähigkeit der Bewehrung in der Verankerungslänge
- Variante b - Zugkraftdeckungslinie „anschmiegende Funktion“
- mit Ansatz der Tragfähigkeit der Bewehrung in der Verankerungslänge
Vergleich der Varianten
Betrachtet wird der rechnerische Endpunkt E eines abgestuften Bewehrungsstahls. Dort ist der Bewehrungsstahl unbelastet. Es wirkt an dieser Stelle somit keine Zugkraft. Nach Variante a ist der Stab ab dem rechnerischen Endpunkt mit seiner erforderlichen Verankerungslänge zu verankern. Aufgrund dessen kann der Bewehrungsstahl bereits ab dem Punkt E seinen vollständigen Bemessungswert der Zugkraft aufnehmen. Im Zugkraftdiagramm wird jedoch ersichtlich, dass ab dem Punkt E die Zugkraft im Bewehrungsstahl erst allmählich steigt. Betrachtet man nun den Verlauf der aufnehmbaren Zugkraft entlang der berechneten Verankerungslänge eines Stabes, so lässt sich feststellen dass diese am Stabende beginnend, linear bis zum Erreichen des Bemessungswertes ansteigt. Der lineare Verlauf ist hierbei auf die Verbundwirkung zwischen Stahl und Beton zurückzuführen. Dieser lineare Kräfteverlauf entlang der Verankerungslänge wird in Variante b bei der Zugkraftdeckungslinie berücksichtigt. Hierdurch lässt sich die Zugkraftdeckungslinie noch enger an die Zugkraftlinie anpassen und somit Material einsparen. Der Stab endet hierbei am rechnerischen Endpunkt und der lineare Kräfteverlauf in der Verankerungslänge wird in den Verlauf der Zugkraftdeckungslinie integriert.[4] [5]
Beurteilung der Varianten
Nach gültiger Norm (Eurocode 2) dürfen beide Varianten zur Zugkraftdeckung angewendet werden. Hierbei bleibt die Wahl dem Anwender überlassen. Im Eurocode wird neben der aktuelleren Variante b, die Variante a als vereinfachende und auf der sicheren Seite liegende Alternative aufgeführt. Aufgrund der Anrechnung der Tragfähigkeit der Bewehrung in der Verankerungslänge ergeben sich für Variante b generell kürzere Stablängen als für Variante a, was somit zu einer Materialersparnis führt. Die Menge der eingesparten Bewehrung lässt sich jedoch nicht ohne weiteres im Voraus durch pauschale Prozentätze oder ähnliches bestimmen. Hierfür ist das Verfahren der Zugkraftdeckung aufgrund der verschiedensten Möglichkeiten der Abstufung einfach zu individuell. Zu beachten ist, dass je nach Art der Nachweisführung der Zugkraftlinie (händisch-grafisch oder mit Softwareunterstützung) diese unter Umständen von der tatsächlichen Zugkraftlinie abweichen kann. Infolge dessen sollte bewusst sein, das Variante b wegen der engen Ausnutzung der Deckungslinie weniger Sicherheiten zum Ausgleichen von Abweichungen enthält. Ebenfalls können auch Verlegeungenauigkeiten zur Unterschreitung der Zugkraftdeckung führen.
Somit wird deutlich, dass die Zugkraftdeckung nach Variante a (Zugkraftdeckungslinie „Stufenfunktion“) eine erhöhte Sicherheit mit sich bringt und grundsätzlich zu einer robusteren Bauweise führt. [2][4]
Hinweise zur Verankerung der Bewehrung
In Verbindung mit der Zugkraftdeckung ist die Verankerung der Bewehrungselemente nachzuweisen. Überall dort, wo ein Bewehrungsstahl endet, ist dieser auch entsprechend zu Verankern (vgl. Verankerungslänge). Hierbei unterscheidet man hinsichtlich der Stelle des Endpunktes der Bewehrung in die Positionen Endauflager, Zwischenauflager und außerhalb von Auflagern.
Rückblick - Zugkraftdeckung in der Vergangenheit
Die Zugkraftdeckung wird als solche bereits seit vielen Jahrzehnten praktiziert. Vergleichend betrachtet wurden verschiedene Lehr- und Handbücher für den Stahlbetonbau aus den frühen 1980er Jahren. Die Durchführung der Variante Zugkraftdeckungslinie „Stufenfunktion“, ist dort, abgesehen von anderen Begriffsbezeichnungen, nahezu identisch mit der heutigen Vorgehensweise. Als wesentlicher Unterschied ist jedoch erkennbar, dass zu jener Zeit die sogenannten „Schrägaufbiegungen“ im Trend lagen. Hierbei wurden die abgestuften Bewehrungsstähle ab ihrem rechnerischen Endpunkt schräg aufgebogen und unter einem gewissen Winkel zum anderen Bauteilrand geführt und dort verankert. Somit dienten diese Stäbe gleichzeitig als Querkraftbewehrung. Die ansonsten geringe Anzahl an Bügelbewehrung galt damals oftmals lediglich als umhüllende Bewehrung zur Formgebung. Rückblickend betrachtet führte die Verwendung von Schrägstäben jedoch zu einigen Problemen. Darunter z.B. Betonabplatzungen an den Umlenkstellen der aufgebogenen Bewehrung oder aber auch Unstimmigkeiten bei der Verlegung, aufgrund der Vielzahl von unterschiedlichen Bewehrungspositionen. Heutzutage wird gefordert, das mindestens 50% der Querkraft über Bügelbewehrung abzutragen ist. Auch wenn das Bewehren mit Schrägstäben momentan eher selten zur Anwendung kommt, kann dies aufgrund der resultierenden Materialeinsparung jedoch grundsätzlich sehr wirtschaftlich sein. In Hinsicht auf die bevorstehenden Ressourcenknappheiten, kann es somit in Zukunft durchaus sinnvoll sein, die Bewehrung durch Schrägstäbe mit entsprechenden Optimierungen wieder mehr in den Fokus zu rücken. [7][2]
weitere Seiten zum Thema Zugkraftdeckung
Ouellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 Scheerer, S; Proske, D: Stahlbeton for Beginners, Grundlagen für die Bemessung und Konstruktion, 2. Auflage, Springer-Verlag, 2008
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 2,7 2,8 Bindseil, P.: Massivbau: Bemessung und Konstruktion im Stahlbetonbau mit Beispielen, 5. Auflage, Springer Vieweg Verlag, 2015
- ↑ 3,0 3,1 Gottfried C.O. Lohmeyer (Hrsg.): Stahlbetonbau, Bemessung - Konstruktion - Ausführung, 6. Auflage, Teubner Verlag
- ↑ 4,00 4,01 4,02 4,03 4,04 4,05 4,06 4,07 4,08 4,09 4,10 4,11 Eurocode 2: DIN EN 1992-1-1 mit Nationalem Anhang (2. Auflage):Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau - Konstruktionsregeln
- ↑ 5,00 5,01 5,02 5,03 5,04 5,05 5,06 5,07 5,08 5,09 5,10 5,11 5,12 5,13 5,14 Bolle, G: Vorlesungsunterlagen Stahlbetonbau I, Hochschule Wismar, 2022
- ↑ 6,0 6,1 6,2 Albert, A (Hrsg.): Bautabellen für Ingenieure, mit Berechnungshinweisen und Beispielen, 24. Auflage, Reguvis Verlag, 2020
- ↑ 7,0 7,1 Kaller, W; Raue, E; Böhme, H: Stahlbeton 1, Konstruktion und Berechnung, 3. Auflage, VEB Verlag für Bauwesen, 1979
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