Zwangsarten

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Unterscheidung in inneren und äußeren Zwang

Bild 1: Arten der Verformungsbehinderung beim Auftreten von äußerem Zwang[F 1]

Zwänge entstehen immer dann, wenn die Verformungen eines Bauteils behindert werden. In der Fachliteratur werden die Begriffe innerer und äußerer Zwang nur selten verwendet.
Im „Wommelsdorff“[F 2] werden die Begriffe durch das Auftreten der Zwangsursache und der Zwangsauswirkung abgegrenzt. Beim inneren Zwang treten die Ursache, z.B. das Abfließen der Hydratationswärme oder das Schwinden, und die Auswirkung also die entstehenden Spannungen am selben Bauteil auf. Beim äußeren Zwang hingegen entstehen die Zwangsursache und die Zwangsauswirkung an unterschiedlichen Bauteilen.
„Zilch & Zehetmaier“[F 3] definieren den inneren Zwang über Verformungen, die sich im Bauteilquerschnitt nicht einstellen können und Eigenspannungen erzeugen. Als Beispiel wird auch hier das Abfließen der Hydratationswärme und das Bauteilschwinden benannt. Durch eine Verformungsbehinderung oder eine aufgezwungene Verformung von außen, wird das betrachtete Bauteil durch Spannungen infolge des äußeren Zwangs beansprucht. Beispiele hierfür sind ungleichmäßige Setzungen und Schwindvorgänge in benachbarten Bauteilen.
Die Definition der Zwangsarten nach „Röhling“[F 1] stimmt mit denen von „Zilch & Zehetmaier“ überein. Beim äußeren Zwang wird jedoch in eine Behinderung am Bauteilende und am Bauteilrand unterschieden. Tritt die Verformungsbehinderung am Bauteilende auf, wie dies z.B. bei Balken oder in Mittelbereichen von Deckenplatten der Fall ist, wird das Bauteil durch eine zentrische Zwangsspannungen, wenn keine Lasten auf das Bauteil wirken, belastet. Wird das betrachtet Bauteil mittels Arbeitsfuge an ein vorher erstelltes Bauteil angeschlossen, wie dies meist bei dem Betonieren einer Wand auf eine Sohlplatte der Fall ist, entstehen neben den zentrischen auch exzentrische bzw. außermittige Zwangsbeanspruchungen. Durch die flächige Behinderung eines Bauteilrandes, z.B. beim Aufliegen einer Sohlplatte auf dem Untergrund, werden neben den zentrischen und exzentrischen Zwangsspannungen Biegemomente hervorgerufen.
Alle drei oben genannten Fachliteraturquellen stimmen in folgenden Punkten überein. Die statische Bestimmtheit hat keinen Einfluss auf die Entstehung von inneren Zwängen. Voraussetzung für das Auftreten von äußerem Zwang ist ein statisch unbestimmtes System. Hierbei werden Schnittgrößen im Querschnitt erzeugt, die Auflagerreaktionen benachbarter Bauteile hervorrufen.
In der einschlägigen Norm DIN EN 1992-1-1[N 1] werden die Begriffe innerer und äußerer Zwang nicht mehr verwendet. Es ist nur noch die Rede von „Zugspannungen infolge am Bauteil selbst hervorgerufenen Zwangs“ oder von „Zugspannungen infolge außerhalb des Bauteils hervorgerufenen Zwangs“.

Unterscheidung in frühen und späten Zwang

Neben der Unterscheidung abhängig von der Verformungsbehinderung, können Zwangsbeanspruchungen auch in frühen oder späten Zwang eingeteilt werden. Diese Trennung bezieht sich auf das zeitliche Auftreten der Zwangsbeanspruchungen.
Der frühe Zwang entsteht während der Erhärtung im Betonbauteil, in den ersten 3 bis 5 Tagen nach dem Betonieren. In diesem Zeitraum können als Zwangsursachen das Abfließen der Hydratationswärme und das chemische und autogene Schwinden benannt werden.
Die Einteilung in den späten Zwang erfolgt vereinfacht nach dem Abfließen der Hydratationswärme, also nach der Erhärtung. Temperaturänderungen im Tages- und Jahresverlauf, Setzungen und das Trocknungsschwinden werden hier eingeordnet.[F 1]
In der Norm DIN EN 1992-1-1 werden diese beiden Begriffe nur für die Ermittlung der Betonzugfestigkeit verwendet. Da beim frühen Zwang die Festigkeitsentwicklung noch nicht abgeschlossen ist, darf diese verringert angesetzt werden. Beim späten Zwang hingegen sind die Normwerte der Festigkeit erreicht und es muss die mittlere Zugfestigkeit, mindestens aber 3,0 N/mm2 angesetzt werden. Ausführlicher wird die Thematik der Berechnung im Kapitel Zwang - Mindestbewehrung zur Rissbreitenbegrenzung behandelt.

Spannungsanteile

Bild 2: Spannungsanteile bei einer Temperatureinwirkung[F 1]

konstante Spannungen

Eine konstante Spannungsverteilung über dem Querschnitt wird auch als zentrische Zwangsspannung bezeichnet. Zentrische Zwangsspannungen treten sowohl bei innerem als auch bei äußerem Zwang auf und entstehen zum Beispiel durch das Abfließen der Hydratationswärme oder das Bauteilschwinden. Übersteigen die entstehenden Spannungen die Betonzugfestigkeit, entstehen Trennrisse, die durch das Bauteil verlaufen. Die Breite dieser Risse muss durch eine Mindestbewehrung nach DIN EN 1992-1-1 begrenzt werden.

linear verteilte Spannungen

Bei einer linearen Spannungsverteilung entsteht im Querschnitt ein Biegemoment. Dieses Biegemoment sorgt beim Überschreiten der Betonzugfestigkeit auf der Zugseite für die Entstehung von Biegerissen. Auch diese Risse müssen durch die oben genannte Mindestbewehrung begrenzt werden.
Eine lineare Spannungsverteilung entsteht zum Beispiel, wenn ein Bauteil, wie in Bild 2 dargestellt, einer Temperaturdifferenz zwischen Innen- und Außenseite ausgesetzt ist.

nichtlinear verteilte Spannungen

Bild 3: Verteilung der Temperatur und der Spannungen im Bauteilquerschnitt [F 4]
Bild 4: Verteilung der Feuchtigkeit und der Spannungen im Bauteilquerschnitt[F 1]

Der nichtlinearen Spannungsanteil im Bauteilquerschnitt wird als Eigenspannungen bezeichnet.
Nichtlinear verteile Spannungen setzen eine Temperaturverteilung, z.B. durch das Abfließen der Hydratationswärme, oder eine Feuchtigkeitsverteilung, z.B. durch Schwindvorgänge, über den Querschnitt voraus. Wie aus den Bildern 1 und 2 zu erkennen ist, ähneln sich beide Verteilungen, nur zeitlich liegen diese auseinander.
Die Temperaturverteilung infolge der Wärmeentwicklung im jungen Beton entsteht innerhalb des ersten Tages nach dem Betonieren. Aufgrund der höheren Temperatur des Bauteilkernes möchte dieser sich ausdehnen, wird aber vom kühleren Rand an seiner Verformung gehindert. Hieraus resultieren Druckspannungen im Kern und Zugspannungen am Rand, welche bis zum Erreichen des Temperaturmaximums in ihrer Größe ansteigen. Wird das Bauteil innerhalb dieses Zeitraumes ausgeschalt, kühlt sich die Bauteiloberfläche weiter ab und die Zugspannungen am Bauteilrand erhöhen sich. Bei einer Temperaturdifferenz zwischen dem Kern und dem Rand des Bauteils von ΔT ≥15K kann es an der Bauteiloberfläche zu Rissen kommen.
Die Feuchtigkeitsverteilung entsteht durch das Austrocknen des Querschnittes. Aufgrund der Feuchtigkeitsabgabe an die Umgebungsluft zieht sich der Beton am Bauteilrand zusammen. Diese Volumenverringerung infolge des Schwindens wird durch den feuchteren Bauteilkern behindert. Am Bauteilrand entstehen somit Zug- und im Bauteilkern Druckspannungen.
Sowohl aus der Temperatur- und der Feuchtigkeitsverteilungen lassen sich unter dem Grundsatz des Ebenbleibens der Querschnitte Dehnungsprofile ableiten. Bei Bauteilen größere Dicke sind diese Dehnungsprofil stärker ausgebildet als bei Bauteilen geringerer Dicke und daher nicht zu vernachlässigen. Eine Einschränkung der auftretenden Dehnungen erfolgt durch die gegenseitige Behinderung der Bauteilfasern oder durch die Behinderung des Schwindens des Betons am Bewehrungsstahl.
Die Größe der nichtlinear verteilten Spannungen ist abhängig von der Größe der Dehnungsdifferenz zwischen Bauteilkern und -rand. Übersteigen die Zugspannungen am Bauteilrand die zu diesem Zeitpunkt wirksame Zugfestigkeit des Betons, entstehen in der Bauteiloberfläche Schalen- bzw. Oberflächenrisse mit geringer Tiefe, welche die Wasserundurchlässigkeit des Bauteils nicht beeinträchtigen. Dies ist z.B. bei einer Temperaturdifferenz zwischen Bauteilkern und Bauteilrand von ΔT≥15K der Fall. Beim Abkühlen des Bauteils entstehen am Bauteilrand Druckspannungen, welche die Risse verschließen. Eine Schädigung des Betonquerschnittes bleibt jedoch bestehen und kann Ausgangspunkt weiterer Risse sein.

Behinderungsgrad

Um abschätzen zu können wie stark die Verformung eines Bauteils behindert werden, kann ein Behinderungsgrad ermittelt werden. Es wird in eine Behinderung der Dehnung und in eine Krümmungsbehinderung unterschieden.[F 1]
Der Grad der Dehnungsbehinderung R lässt sich nach Röhling, S. [F 1] zum einen aus dem Verhältnis der behinderten Dehnung Δεbeh zur Gesamtdehnung ε0, um die sich das Bauteil verformen möchte, ermitteln.

freie Dehnung
Gesamtdehnung, die dem Bauteil aufgezwungen wird
Dehnung, die behindert wird und sich nicht einstellen kann

Andererseits führt auch das Verhältnis der Steifigkeiten des behindernden und des behinderten Bauteils zum Behinderungsgrad.

für das behinderte Bauteil
für das behindernde Bauteil
Querschnittsfläche
Elastizitätsmodul
Länge des behinderten Bauteils
Länge des behindernden Bauteils

Aufgrund des ansteigenden Elastizitätsmoduls und damit der ansteigenden Steifigkeit beim Erhärten des behinderten Bauteils ist der Behinderungsgrad nicht konstant und verringert sich mit zunehmendem Bauteilalter. Durch Risse verringert sich die Steifigkeit im Bauteil, sodass sich der Behinderungsgrad erhöht und die Gefahr der weiteren Rissbildung ansteigt.
Je größer der Wert des Behinderungsgrades ist, desto mehr wird die freie Verformungsfähigkeit des behinderten Bauteils eingeschränkt. Bei einem Behinderungsgrad von R = 1,0 ist die freie Verformung vollständig behindert und man spricht vom „vollen Zwang“. Meist ergibt sich der Behinderungsgrad jedoch zu R < 1,0, sodass sich das behinderte Bauteil verformen kann und von „teilweisen Zwang“ die Rede ist.[F 1]
Die Krümmungsbehinderung entsteht durch eine über dem Querschnitt linear verteilte Dehnung und ist wie nachfolgend definiert.

Trägheitsmoment des behinderten Bauteils
Trägheitsmoment des behindernden Bauteils
Elastizitätsmodul des behinderten Bauteils
Elastizitätsmodul des behindernden Bauteils

In Kombination mit der Dehnungsbehinderung führt die Behinderung der Krümmung zu einer Spannungsverteilung aus zentrischen Zwangsspannungen über die Wandhöhe.[F 1]
Bei einem biegesteifen Auflager ist die Krümmung vollständig behindert und es treten neben den horizontalen Zwangsschnittgrößen Vertikalkräfte auf, die zu horizontalen Rissen in z.B. der Arbeitsfuge zwischen einer Wand und einer Sohlplatte, führen. Bei einem biegeweichen Auflager hingegen kann sich eine Krümmung einstellen, sodass in der Verbundfuge keine Vertikalkräfte entstehen und die Spannungsverteilung zum Wandkopf hin auf Null fällt.[F 1]

Verringerung der Zwangsbeanspruchung

Durch eine Verringerung der Bauteiltemperatur können die Dehnungen im Bauteil verringert werden, sodass die entstehenden Zugspannungen eine geringere Größe annehmen. Dies bezieht sowohl die Bauteilerwärmung vor dem Abfließen der Hydratationswärme, beeinflussbar durch die Menge und die Art des Zementes, als auch die Erwärmung infolge Sonneneinstrahlung mit ein. Außerdem kann durch entsprechende Maßnahmen der Zeitraum bis zum Erreichen der Maximaltemperatur im Bauteilquerschnitt verlängert werden, sodass sich am Bauteilrand eine größere Zugfestigkeit entwickeln kann.
Durch eine Dämmung des Bauteils nach dem Betonieren, kann zum Beispiel die Temperaturdifferenz im Bauteilquerschnitt verringert werden, sodass geringere Eigenspannungen entstehen. Es ist jedoch darauf zu achten, dass hierbei die Bauteiltemperatur im Gesamten angehoben wird und dadurch beim Abfließen der Hydratationswärme größere Zugspannungen entstehen.
Zusätzlich dazu sollte das Bauteil möglichst langsam abkühlen und austrocknen, damit die Relaxation langsam entstehende Zugspannungen abbauen kann.
Neben betontechnologischen Maßnahmen können die entstehenden Spannungen auch durch eine konstruktive Verringerung der Verformungsbehinderungen reduziert werden. Bei der Planung von Sohlplatten sollte die Gleitfähigkeit auf dem Untergrund beachtet bzw. sichergestellt werden und in Wänden verringert die Anordnung von Fugen die Zwangsspannungen.




Quellen

Normen
  1. DIN EN 1992-1-1 Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken. Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau mit Nationalem Anhang. Beuth Verlag GmbH 2016


Fachliteratur
  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 1,7 1,8 1,9 Röhling, S.; Meichsner, H.: Rissbildung im Stahlbetonbau. Ursachen - Auswirkung - Maßnahmen. Stuttgart 2018 Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „F1“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  2. Wommelsdorff, O.; Albert, A.: Stahlbetonbau. Bemessung und Konstruktion. Teil 1. 10., neu bearbeitete und aktualisierte Auflage. Köln 2011
  3. Zilch, K.; Zehetmaier, G.: Bemessung im konstruktiven Betonbau. 2., neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Springer Verlag 2010
  4. Lohmeyer, G.; Ebeling, K.: Weiße Wannen - einfach und sicher. Konstruktion und Ausführung wasserundurchlässiger Bauwerke aus Beton. 11. überarbeitete Auflage. Düsseldorf 2018



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