Querkraftbemessung - Bauteile ohne rechnerisch erforderliche Querkraftbewehrung
Aufgrund der äußerst komplexen Vorgänge beim Biegeschubversagen ist es bislang nicht gelungen, ein allgemein anerkanntes und mechanisch begründetes Tragmodell zu entwickeln. Es existiert eine Vielzahl mechanischer Modelle, die Teilaspekte des Tragverhaltens abbilden, jedoch führen deren Kombinationen häufig zu widersprüchlichen Ansätzen. Aus diesem Grund wurden empirische Modelle entwickelt, die auf umfangreichen Versuchsreihen und Beobachtungen basieren. Auch das aktuell gültige Regelwerk (EC2, Teil 1-1) stützt sich auf diese empirischen Ansätze. [1]
Tragmodell
Ein bedeutender Tragmechanismus für Bauteile ohne rechnerisch erforderliche Querkraftbewehrung ist die Kombination aus dem Bogen-Zugband-Modell und dem Kamm- bzw. Zahnmodell. Bei Belastung durch eine Einzellast bildet sich ein Sprengwerk, bei Flächenlasten ein parabelförmiger Druckbogen aus. Dieser erzeugt Horizontalkräfte an den Auflagern, die über die Längsbewehrung als Zugband aufgenommen werden. Unterhalb des Druckbogens werden weitere Tragmechanismen aktiviert, die durch das Zahnmodell beschrieben werden. Es entstehen sogenannte Betonzähne, die durch idealisierte Biegeschubrisse begrenzt sind und kontinuierlich mit der Betondruckzone (Druckbogen) verbunden bleiben. Dadurch besteht eine ständige Verbindung zwischen Druck- und Zuggurt, über die die Zugkräfte aus der Bewehrung abgebaut werden können. [1] [2]
In diesem Modell wird die Querkraft durch folgende Traganteile abgetragen – jeweils mit den entsprechenden Einflussfaktoren:
- Querkrafttraganteil der Druckzone : Da sich der Beton in der Druckzone im Zustand I befindet (ungerissen), kann er einen Teil der Querkraft abtragen.
- Betonfestigkeit: Mit steigender Festigkeit können höhere Schubspannungen aufgenommen und somit größere Querkräfte abgetragen werden.
- Bauteilquerschnitt: Je breiter der Querschnitt, desto breiter der Druckbogen – und damit kann eine größere Querkraft aufgenommen werden.
- Längskräfte: Bei vorhandenen Druckkräften vergrößert sich die überdrückte Zone im Querschnitt, wodurch der Druckbogen breiter wird und höhere Schubkräfte übertragen werden können. [1] [2]
- Dübelwirkung der Längsbewehrung : Die Biegezugbewehrung verbindet benachbarte Betonzähne miteinander und ermöglicht so über Zugspannungen im Beton die Übertragung von Querkräften.
- Bewehrungsquerschnitt: Je größer der Querschnitt der Längsbewehrung, desto höhere Querkräfte können über die Dübelwirkung übertragen werden.
- Betondeckung: Ist die Betondeckung zu gering, kann der Beton abplatzen, wodurch die Querkräfte nicht mehr über die Dübelwirkung abgetragen werden können. [1] [2]
- Rissverzahnung : Durch die Relativverschiebung zweier gegenüberliegender Rissufer entstehen Rissverzahnungsspannungen, die einen Teil der Querkraft aufnehmen können.
- Betonzugfestigkeit: Eine höhere Zugfestigkeit des Betons führt zu kleineren Rissöffnungen, wodurch größere Rissverzahnungsspannungen entstehen und somit höhere Querkräfte aufgenommen werden können.
- Längskräfte: Axiale Druckkräfte reduzieren die Rissbreite und ermöglichen dadurch eine größere Übertragung der Querkraft über die Rissverzahnung. [1] [2]
- Einspannwirkung der Betonzähne: Durch die Verformung des Bauteils entstehen Biegespannungen an der Einspannstelle der Betonzähne, die zur Aufnahme von Querkräften beitragen.
Bemessung
Da das Versagen eines Bauteils ohne Querkraftbewehrung in der Regel durch die Ausbildung eines kritischen Schubrisses initiiert wird, ist im Rahmen der Bemessung nachzuweisen, dass die vorhandenen Beanspruchungen die maßgebende Schubrisslast nicht überschreiten. Hierzu wird gemäß Eurocode der Nachweis für gerissene Trägerstege herangezogen. Dieser basiert, mangels eines allgemein anerkannten Versagensmodells, auf semi-empirischen Ansätzen. [1]
Nachweis für gerissene Trägerstege
mit:
wobei:
VEd ... Bemessungswert der einwirkenden Querkraft VEd,0 ... Grundbemessungswert der einwirkenden Querkraft Vccd ... Querkraftkomponente aus der Druckspannungsresultierenden Fcd Vtd ... Querkraftkomponente aus der Betonstahlzugkraft Fsd MEds ... das einwirkende Moment bezogen auf die Lage der Zugbewehrung d ... statische Nutzhöhe ψo ... Neigung der Bauteiloberkante (≈φo) φu ... Neigung der Betonstahlachse NEd ... Bemessungswert der Normalkraft zs ... Abstand Schwerelinie zu Biegezugbewehrung
wobei:
- Beiwert zur Berücksichtigung der Bauteilhöhe (Maßstabseffekt) mit d in [mm]
- Einwirkende Längsspannungen, Druck hierbei positiv einzusetzen
- geometrischer Bewehrungsgrad der Längsbewehrung
- bw - Kleinste Querschnittsbreite innerhalb der Zugzone(mit Index w für width)]
- d - Statische Nutzhöhe
- fck - Charakteristische Betondruckfestigkeit
- fcd - Bemessungswert der Betondruckfestigkeit
- Ac - Betonfläche
- Asl - Fläche der Zugbewehrung
- γc = 1,5 bei ständiger und vorübergehender Bemessungssituation
- γc = 1,3 bei außergewöhnlicher Bemessungssituation
Die Gleichung ist nicht dimensionsrein. Für ein richtiges Ergebnis setzt man am besten alle Werte in [N] und [mm] oder in [MN] und [m] ein.
Mindestquerkrafttragfähigkeit VRd,c,min
Eine Mindestquerkrafttragfähigkeit wird bei geringeren Längsbewehrungsgraden maßgebend, da die ursprüngliche Gleichung zu sichere Ergebnisse ausgibt.
Sie formuliert sich zu
wobei:
- κ1 = 0,0525 für d ≤ 60cm>
- κ1 = 0,0375 für d ≥ 80cm (Zwischenwerte sind zu interpolieren)
zusätzlicher Nachweis der Beanspruchbarkeit des Betons
Für die Beanspruchbarkeit des Betons wird eine zusätzlicher Nachweis geführt. Der Nachweis entfällt für Bauteile ohne nennenswerte Längskräfte.
wobei:
- ν = 0,675 (nach EC 2-1-1/NA)
Quellen
Seiteninfo
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